GfK:Intro:Verantwortung übernehmen

Stand: 25-09-2012

Verantwortung für die eigenen Bedürfnisse, Gefühle, Wünsche, Gedanken und Handlungen übernehmen

Im 2. Kapitel von "Gewaltfreie Kommunikation - Eine Sprache des Lebens", unter der Überschrift "Verantwortung leugnen" stellt Rosenberg eine Reihe von diesbezüglichen Möglichkeiten dar, wie Kommunikation das Einfühlungsvermögen blockieren kann. Eigene Verantwortung zu leugnen bedeutet, etwas das außerhalb von einem selbst ist, verantwortlich zu machen, es, ihm oder ihr die "Schuld zuschieben". Verantwortung wird nicht eigentlich geleugnet, ihre Existenz wird nicht verneint, sondern sie wird verschoben, von einem selbst weg, hin auf andere. Auch Argumentationen, die darauf hinaus laufen, dass etwas "Schicksal" sei, ist keine Leugnung von Verantwortung, sondern die Verschiebung der Verantwortung in's Mystische, also letztlich auf Gott. Es ist so oder so eine Form der Projektion. Es ist Folge und Ursache für die eigene Entfremdung und somit das Gegenteil von Selbsteinfühlung. Daher ist es für das eigene Wachstum und die erfolgreiche Integration und Akzeptanz aller eigenen Anteile sehr wichtig, die Verantwortung bewusst zu übernehmen. Es ist nicht so, dass man sich durch diese Art die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, etwas zuziehen würde, dass man schwer oder gar nicht tragen könnte oder dass einem die Last, das eigene "Päckchen" zu tragen in irgend einer Art erschweren würde. Denn die Übernahme der Verantwortung ist nichts anderes, als die Anerkennung der Verantwortung, die man auch vorher faktisch schon immer hatte. Es werden keine neuen Aufgaben übernommen, und keine zusätzliche Arbeit ist darauf hin zu leisten. Man hat grundsätzlich immer die Verantwortung für das eigenen Leben. Nur ist man sich dessen oft nicht im vollen Umfang bewusst. Das führt zu "suboptimaler" Lebensweise und zu vermeidbaren Erschwernissen. Die Verantwortung anzuerkennen, führt zu mehr Klarheit und besseren Ergebnissen, also leichterem bzw. erfolgreicherem und glücklicherem Leben. Die Verantwortung zu leugnen ist eine Form des Irrtums und macht somit allen das Leben schwerer.

Verantwortung für die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse

Im Prozess der Selbsteinfühlung gibt es mehrere Stufen, die ich Eskalationen nenne.
  1. Ein verdrängtes Bedürfnis wiederentdecken
  2. Ein Bedürfnis anerkennen
  3. Die Verantwortung für die Erfüllung eines Bedürfnisses übernehmen
  4. Zu dem eigenen Bedürfnis stehen, auch vor anderen und gegen Widerstände
  5. Die Wahlfreiheit des Erfüllers des Bedürfnisses anzuerkennen.*
* Bei Bedürfnissen, die ihrer Natur nach scheinbar oder tatsächlich nicht selbst erfüllt werden können, sondern von anderen erfüllt werden müssen, muss zweierlei anerkannt werden: A) Dass sich dies nicht auf eine bestimmte, einzige Person richtet und B: Dass die andere Person die Freiheit der Wahl hat, ob sie Dein Bedürfnis erfüllen möchte oder nicht. Das gilt ungeachtet gesetzlicher Regelungen, denn dem Unbewussten ist das BGB ziemlich egal.

Unsere Bedürfnisse haben wir, ob wir wollen oder nicht. Sie sind unveräußerliche Bestandteile unserer menschlichen Natur. Alle Menschen haben die gleichen Bedürfnisse, auch wenn deren Dringlichkeit und Wichtigkeit von Person zu Person, von Ort zu Ort und von Zeit zu Zeit sehr stark variieren können. Nicht zu atmen bedeutet den sofortigen Tod und nicht dazu zu lernen bedeutet kein menschenwürdiges Leben zu leben. Die Verleugnung eigener Bedürfnisse ist daher die Wurzel der Verleugnung eigener Verantwortung. Aus ihr entstehen alle anderen Formen dieses Irrtums.
Ein Beispiel: Wenn eine Frau (das kommt bei Frauen in unsere Gesellschaft signifikant häufiger vor, als bei Männern) ihr sexuelles Verlangen leugnet und somit kein oder ein unerfülltes Sexualleben führt, kann das dazu führen, dass sie zur verhärmten Einzelgängerin wird, die über alles und jedes meckert, außer über die Abwesenheit von befriedigender Sexualität, obwohl das der primäre Grund für ihr unglückliches Dasein ist. Das stete Gejammer führt dazu, dass ihr die Leute ausweichen, was zur Schließung des Teufelskreises führt. Die eigenen Bedürfnisse zu ignorieren ist der Anfang vom Ende. Selbsteinfühlung wird beliebig schwierig und es bedarf der Geduld und Hingabe eines Heiligen, um so einer Person genug Einfühlung zu geben, um den Teufelskreis wieder aufzubrechen und Fortschritt wieder möglich zu machen. So etwas ist möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Daher hüte Dich davor, Deine eigenen Bedürfnisse zu verdrängen. Sie suchen sich sonst unweigerlich ihren ganz eigenen Weg, Dir im Gegenzug das Leben zur Hölle zu machen. Es gibt nichts rachsüchtigeres und gemeineres als die eigenen verdrängten Bedürfnisse. Ich kenne keinen sichereren Weg, sich sein ganzes Leben zu versauen. Keine andere Person wird je diese Geduld und Ausdauer aufbringen, Dich Dein ganzes Leben zu begleiten, nur um es Dir so schwer wie möglich zu machen. Nur Deine verdrängten Bedürfnisse machen sowas.

Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen

Unsere Gefühle entstehen auf der Grundlage unserer eigenen erfüllten bzw. unerfüllten Bedürfnisse. Sie sind die Hinweise auf unseren eigenen Zustand. Warum sollte also jemand anderes dafür verantwortlich gemacht werden? Außerdem entstehen viele Gefühle auf der Grundlage unserer eigenen Gedanken. Es ist eine ganz und gar "innere Angelegenheit". Gefühle kommen nicht von außen. "Ich fühle mich ... weil ..." Es heißt also "Ich fühle mich" und nicht "Du fühlst mich". Du kannst zwar sagen: "Ich fühle mich..., weil du ...", dennoch bleibt es ein "ich fühle mich". Du fühlst mich nicht, denn Du fühlst Dich selbst. Es gibt zwar die recht subtile Ausnahme der primären Empathie, aber jene Situation ist generell nicht der Umstand in dem jemand dazu neigt, die Verantwortung für die eigenen Gefühle in einer Form abzulehnen, die zu Problemen führt. Die Probleme treten dann auf, wenn ich mich z.B. einsam fühle, weil ich eine Äußerung von einer mir nahe stehenden Person oder Gruppe so interpretiert habe, dass ich denke, diese entfernt sich von mir und darauf hin dieser Person oder Gruppe Vorwürfe mache, indem ich behaupte, sie würden mir emotionalen Schmerz verursachen, sie seien Schuld an meinen unangenehmen Gefühlen, worauf hin sie normalerweise sich verteidigen werden, was zur Entzweiung führt, wodurch meine "sich selbst erfüllende Prophezeiung" sich tatsächlich erfüllt hat, ich also das genaue Gegenteil von dem erreiche, was ich zur Erfüllung meines Bedürfnisses nach Nähe erreichen müsste. Würde ich die Verantwortung für mein Gefühl der Einsamkeit übernehmen, könnte ich z.B. darauf kommen, dass ich nur interpretiert habe, dass ich ausgeschlossen würde. Oder ich könnte ohne Vorwürfe mein Gefühl der Einsamkeit darlegen und um Bestätigung der Zugehörigkeit oder Ausdruck von Nähe bitten. Damit ist die Wahrscheinlichkeit, zu bekommen, was ich brauche, wesentlich höher.

Verantwortung für die eigenen Handlungen übernehmen

Wir leben mitten im Kapitalismus, der stark entfremdende Wirkung auf uns hat. Es ist ein unmenschliches System, das unweigerlich zur Verrohung des Menschen führt, zur Zerstörung der Umwelt etc. Aber es ist auch ein von Menschen geschaffenes System. Es geht um Geld. Aber Geld kann man nicht essen, es ist nur eine Vereinbarung, ein virtuelles Gut, nicht real. Geld erfüllt niemandes Bedürfnis. Geld ist zur Erfüllung von Bedürfnissen nur indirekt nützlich, in so fern eine Person bereit ist, dem Geld eine Bedeutung zukommen zu lassen und es als Pfand zu akzeptieren, für etwas reales, etwas das tatsächlich geeignet ist, ein Bedürfnis zu erfüllen. Die meisten Menschen sind mehr oder weniger dazu bereit. Viele hinterfragen die Bedeutung von Geld praktisch gar nicht und behandeln Geld wie einen realen Wert. Das ist gleichbedeutend mit der Abgabe von Macht an das Geld. Das ist der Kern der Entfremdung durch den Kapitalismus. Unter diesen Umständen kann man behaupten, Geld hätte Macht. Die Reichen und Mächtigen werden in einem Atemzug genannt. Geld für einen realen Wert zu halten, ist eine mentale Handlung, eine eigene Entscheidung und liegt somit in der Verantwortung jedes Einzelnen. Geld als Grund für eigene Tätigkeit oder Unterlassung zu akzeptieren, unterliegt der eigenen Verantwortung. Du weißt aus Erfahrung, wie die Gesellschaft mehrheitlich dazu steht, denn deshalb nennt man es Kapitalismus. Es ist Deine Entscheidung dass Du Dich innerhalb dieses Systems aufhältst. Du siehst bestimmte Vorteile für Dich darin, hier nicht weg zu gehen. Du erlaubst dem System, Einfluss auf Dich zu nehmen. Du unterwirfst Dich bestimmten Vorgaben. Du unterstützt dieses System auf verschiedene Art und Weise. Du spielst das Spiel mit. Vielleicht hältst Du Dich für einen Idealisten oder Humanisten oder sonst wie für "netter" als der Durchschnitt, und Deine Tätigkeit ist geeignet das Leid zu mildern, dass dieses System über Mensch, Tier, Pflanze und Umwelt bring. Vielleicht führt diese Minderung des Leidensdruckes dazu, dass es noch länger dauert, bis ein allgemeines Aufbegehren diesem unwürdigen System ein Ende bereitet.

Die Beendigung eines Systems ist aber keine positive Sache, keine Lösung eines Problems. Nur der Aufbau eines menschenwürdigen Systems ist ein Lösung. Ohne ein System, ohne Vereinbarungen, ohne Kooperationen und Arbeitsteilung kommen wir nicht weiter und schon gar nicht gegen ein verdammt gut weltweit etabliertes System an. Das ist eine ungeheuer große Aufgabe und wird lange Zeit dauern, und gelebt wird immer JETZT. Also arrangieren wir uns mehr oder weniger mit dem was ist. Wir wollen ein Einkommen haben, um ein Auskommen zu haben. Also heißt es: "Ich habe mich entschieden, diese Arbeit zu machen, weil ich dieses Einkommen haben will." Es ist Deine Entscheidung, Deine Verantwortung. Es geht um die Erfüllung Deiner Bedürfnisse.

Wenn Du irgendwo in diesem komplexen System von Ursache und Wirkung versuchst, die Verantwortung für etwas, dass Dir nicht gefällt, auf andere zu schieben, dann verminderst Du damit Deine eigenen Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation beizutragen. Feindbilder werden aufgebaut, Fronten verhärtet, Widerstände erzeugt und Empathie entweicht aus dem System wie Alkohol auf einem heißen Stein. Verwüstung findet statt. Das ist nicht in Deinem Interesse. Wenn Du aber Deine eigene Verantwortung sogar für die Handlungen anerkennst, die Du ungerne ausführst, so hat das verschiedene Vorteile:
  1. Deine Aufmerksamkeit wird auf Deine Entscheidungsfähigkeit gelenkt in der die Saat der Veränderung liegt.
  2. Du kannst von Deiner Entscheidung auf Deine Motivation schließen, von Deiner Motivation auf Dein Bedürfnis und prüfen, ob das Ergebnis im Sinne Deines Bedürfnisses ist.
  3. Wenn Dir klar ist, dass es Deine Entscheidung ist, dann weißt Du auch, dass es nicht für immer ist, denn Du kannst Dich anders entscheiden. Also kannst Du Dir Termine setzen und sagen:
    "Ich entscheide mich, das für eine bestimmte Zeit zu tun."
    Du wirst dadurch mehr zum Spielführer und weniger zum Spielball der Umstände. Deine Aufmerksamkeit wird darauf gelenkt, was Du in der selbst gewählten Zeit tun wirst, damit Du am Ende der Zeit eine andere Entscheidung treffen kannst, die zu konkreten erfreulicheren Ergebnissen führt.
  4. Du haderst nicht länger mit dem unerfreulichen Umstand, dass Du den Folgen der vermeintlichen Schuld anderer hilflos ausgeliefert bist und kannst die dadurch frei gewordene Kraft produktiv einsetzen, wo auch immer Du möchtest.
  5. Aus der Sicht eines Machers ist alles viel interessanter. Deine Neigung die Umstände genauer verstehen zu wollen steigt. Also wird Deine Kompetenz die Angelegenheit in Deinem Sinne zu verändern steigen. Du entdeckst neue Handlungsspielräume.
  6. Deine Bereitschaft steigt, auf den Teil der Handlungen zu verzichten, den Du nicht "verantworten" kannst. Wenn Du dann tatsächlich darauf verzichtest, wächst Deine moralische Stärke entsprechend, was weitere Energie freisetzt.
  7. Leute die immer nur meckern sind grundsätzlich unbeliebt. Leute, die Verantwortung zeigen und tun, was in in ihrer Macht steht, verdienen sich den Respekt anderer und bekommen gelegentlich gänzlich unerwartete Unterstützung, denn auch andere Leute haben ein Gewissen und einen Sinn dafür, was "richtig" ist.
  8. Du handelst verantwortungsbewusster und somit qualitativ besser und somit mit mehr Befriedigung.
  9. Es passieren Dir weniger Fehler und Nachlässigkeiten und andere müssen weniger unter Dir leiden.
  10. Die ungeliebten Aufgaben und Auflagen verlieren den Feindbildcharakter und werden zu einem Material, mit dem Du arbeiten kannst, dass Du also auch selber formen kannst und für die Erfüllung Deiner eigenen Bedürfnisse umnutzen oder mitnutzen kann. Aus lästigen Abfallprodukten werden geschätzte Hilfsmittel.*
  11. Derart Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen hat immer mit Selbsteinfühlung zu tun. Da Du danach mit Dir selber mehr im Reinen ist, bist Du fortan besser in der Lage Dich in die anderen Beteiligten einzufühlen, was Arbeitsfrieden, Kooperation und Deine eigenen Einflussmöglichkeiten weiter verbessert.
*Das ist mitunter wörtlich zu nehmen. Im Krieg hatten die russischen Bomberpiloten das Problem, dass der Treibstofftank am Zielort halb leer war und deshalb mit viel Luft gefüllt, was im Falle des zu erwartenden Feindkontaktes schon beim ersten Treffer zur Explosion des Tanks und zum Verlust von Mannschaft und Maschine führte. Also entschied man sich, die verbrannten (also unbrennbaren) Abgase aus den Flugzeugmotoren zum Auffüllen der sich stetig leerenden Tanks zu verwenden, was die Wahrscheinlichkeit von Explosionen drastisch reduzierte. Das war keine esoterische Umdeutung, sondern eine konkrete Umnutzung auf der Grundlage einer geringen baulichen Veränderung mit enormem materiellen Vorteil.