Verantwortung für die eigenen Bedürfnisse, Gefühle,
Wünsche, Gedanken und Handlungen übernehmen
Im 2. Kapitel von "Gewaltfreie
Kommunikation - Eine Sprache des Lebens", unter der Überschrift
"Verantwortung leugnen" stellt Rosenberg eine Reihe von diesbezüglichen
Möglichkeiten dar, wie Kommunikation das Einfühlungsvermögen blockieren
kann. Eigene Verantwortung zu leugnen bedeutet, etwas das außerhalb von
einem selbst ist, verantwortlich zu machen, es, ihm oder ihr die "Schuld
zuschieben". Verantwortung wird nicht eigentlich geleugnet, ihre Existenz
wird nicht verneint, sondern sie wird verschoben, von einem selbst weg, hin auf
andere. Auch Argumentationen, die darauf hinaus laufen, dass etwas "Schicksal"
sei, ist keine Leugnung von Verantwortung, sondern die Verschiebung der Verantwortung
in's Mystische, also letztlich auf Gott. Es ist so oder so eine Form der Projektion.
Es ist Folge und Ursache für die eigene Entfremdung und somit das Gegenteil
von Selbsteinfühlung. Daher ist es für das eigene Wachstum und die erfolgreiche
Integration und Akzeptanz aller eigenen Anteile sehr wichtig, die Verantwortung
bewusst zu übernehmen. Es ist nicht so, dass man sich durch diese Art die
Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, etwas zuziehen würde,
dass man schwer oder gar nicht tragen könnte oder dass einem die Last, das
eigene "Päckchen" zu tragen in irgend einer Art erschweren würde.
Denn die Übernahme der Verantwortung ist nichts anderes, als die Anerkennung
der Verantwortung, die man auch vorher faktisch schon immer hatte. Es werden keine
neuen Aufgaben übernommen, und keine zusätzliche Arbeit ist darauf hin
zu leisten. Man hat grundsätzlich immer die Verantwortung für das eigenen
Leben. Nur ist man sich dessen oft nicht im vollen Umfang bewusst. Das führt
zu "suboptimaler" Lebensweise und zu vermeidbaren Erschwernissen. Die
Verantwortung anzuerkennen, führt zu mehr Klarheit und besseren Ergebnissen,
also leichterem bzw. erfolgreicherem und glücklicherem Leben. Die Verantwortung
zu leugnen ist eine Form des Irrtums und macht somit allen das Leben schwerer.
Verantwortung für die Erfüllung der eigenen Bedürfnisse
Im Prozess der Selbsteinfühlung gibt es mehrere Stufen, die ich Eskalationen
nenne.
Ein verdrängtes Bedürfnis wiederentdecken
Ein Bedürfnis anerkennen
Die Verantwortung für die Erfüllung eines Bedürfnisses übernehmen
Zu dem eigenen Bedürfnis stehen, auch vor anderen und gegen Widerstände
Die Wahlfreiheit des Erfüllers des Bedürfnisses anzuerkennen.*
* Bei Bedürfnissen, die ihrer Natur nach scheinbar oder tatsächlich
nicht selbst erfüllt werden können, sondern von anderen erfüllt
werden müssen, muss zweierlei anerkannt werden: A) Dass sich dies nicht auf
eine bestimmte, einzige Person richtet und B: Dass die andere Person die Freiheit
der Wahl hat, ob sie Dein Bedürfnis erfüllen möchte oder nicht.
Das gilt ungeachtet gesetzlicher Regelungen, denn dem Unbewussten ist das BGB
ziemlich egal.
Unsere Bedürfnisse haben wir, ob wir wollen oder nicht. Sie sind unveräußerliche
Bestandteile unserer menschlichen Natur. Alle Menschen haben die gleichen Bedürfnisse,
auch wenn deren Dringlichkeit und Wichtigkeit von Person zu Person, von Ort zu
Ort und von Zeit zu Zeit sehr stark variieren können. Nicht zu atmen bedeutet
den sofortigen Tod und nicht dazu zu lernen bedeutet kein menschenwürdiges
Leben zu leben. Die Verleugnung eigener Bedürfnisse ist daher die Wurzel
der Verleugnung eigener Verantwortung. Aus ihr entstehen alle anderen Formen dieses
Irrtums.
Ein Beispiel: Wenn eine Frau (das kommt bei Frauen in unsere Gesellschaft signifikant
häufiger vor, als bei Männern) ihr sexuelles Verlangen leugnet und somit
kein oder ein unerfülltes Sexualleben führt, kann das dazu führen,
dass sie zur verhärmten Einzelgängerin wird, die über alles und
jedes meckert, außer über die Abwesenheit von befriedigender Sexualität,
obwohl das der primäre Grund für ihr unglückliches Dasein ist.
Das stete Gejammer führt dazu, dass ihr die Leute ausweichen, was zur Schließung
des Teufelskreises führt. Die eigenen Bedürfnisse zu ignorieren ist
der Anfang vom Ende. Selbsteinfühlung wird beliebig schwierig und es bedarf
der Geduld und Hingabe eines Heiligen, um so einer Person genug Einfühlung
zu geben, um den Teufelskreis wieder aufzubrechen und Fortschritt wieder möglich
zu machen. So etwas ist möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Daher hüte
Dich davor, Deine eigenen Bedürfnisse zu verdrängen. Sie suchen sich
sonst unweigerlich ihren ganz eigenen Weg, Dir im Gegenzug das Leben zur Hölle
zu machen. Es gibt nichts rachsüchtigeres und gemeineres als die eigenen
verdrängten Bedürfnisse. Ich kenne keinen sichereren Weg, sich sein
ganzes Leben zu versauen. Keine andere Person wird je diese Geduld und Ausdauer
aufbringen, Dich Dein ganzes Leben zu begleiten, nur um es Dir so schwer wie möglich
zu machen. Nur Deine verdrängten Bedürfnisse machen sowas.
Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen
Unsere Gefühle entstehen auf der Grundlage unserer eigenen erfüllten
bzw. unerfüllten Bedürfnisse. Sie sind die Hinweise auf unseren eigenen
Zustand. Warum sollte also jemand anderes dafür verantwortlich gemacht werden?
Außerdem entstehen viele Gefühle auf der Grundlage unserer eigenen
Gedanken. Es ist eine ganz und gar "innere Angelegenheit". Gefühle
kommen nicht von außen. "Ich fühle mich ... weil ..." Es
heißt also "Ich fühle mich" und nicht "Du
fühlst mich". Du kannst zwar sagen: "Ich fühle mich..., weil
du ...", dennoch bleibt es ein "ich fühle mich". Du fühlst
mich nicht, denn Du fühlst Dich selbst. Es gibt zwar die recht subtile Ausnahme
der primären Empathie, aber jene Situation
ist generell nicht der Umstand in dem jemand dazu neigt, die Verantwortung für
die eigenen Gefühle in einer Form abzulehnen, die zu Problemen führt.
Die Probleme treten dann auf, wenn ich mich z.B. einsam fühle, weil ich eine
Äußerung von einer mir nahe stehenden Person oder Gruppe so interpretiert
habe, dass ich denke, diese entfernt sich von mir und darauf hin dieser Person
oder Gruppe Vorwürfe mache, indem ich behaupte, sie würden mir emotionalen
Schmerz verursachen, sie seien Schuld an meinen unangenehmen Gefühlen, worauf
hin sie normalerweise sich verteidigen werden, was zur Entzweiung führt,
wodurch meine "sich selbst erfüllende Prophezeiung" sich tatsächlich
erfüllt hat, ich also das genaue Gegenteil von dem erreiche, was ich zur
Erfüllung meines Bedürfnisses nach Nähe erreichen müsste.
Würde ich die Verantwortung für mein Gefühl der Einsamkeit übernehmen,
könnte ich z.B. darauf kommen, dass ich nur interpretiert
habe, dass ich ausgeschlossen würde. Oder ich könnte ohne Vorwürfe
mein Gefühl der Einsamkeit darlegen und um Bestätigung
der Zugehörigkeit oder Ausdruck von Nähe bitten. Damit ist die Wahrscheinlichkeit,
zu bekommen, was ich brauche, wesentlich höher.
Verantwortung für die eigenen Handlungen übernehmen
Wir leben mitten im Kapitalismus, der stark entfremdende Wirkung auf uns hat.
Es ist ein unmenschliches System, das unweigerlich zur Verrohung des Menschen
führt, zur Zerstörung der Umwelt etc. Aber es ist auch ein von Menschen
geschaffenes System. Es geht um Geld. Aber Geld
kann man nicht essen, es ist nur eine Vereinbarung, ein virtuelles Gut, nicht
real. Geld erfüllt niemandes Bedürfnis. Geld ist zur Erfüllung
von Bedürfnissen nur indirekt nützlich, in so fern eine Person bereit
ist, dem Geld eine Bedeutung zukommen zu lassen und es als Pfand zu akzeptieren,
für etwas reales, etwas das tatsächlich geeignet ist, ein Bedürfnis
zu erfüllen. Die meisten Menschen sind mehr oder weniger dazu bereit. Viele
hinterfragen die Bedeutung von Geld praktisch gar nicht und behandeln Geld wie
einen realen Wert. Das ist gleichbedeutend mit der Abgabe von Macht an das Geld.
Das ist der Kern der Entfremdung durch den Kapitalismus. Unter diesen Umständen
kann man behaupten, Geld hätte Macht. Die Reichen und Mächtigen werden
in einem Atemzug genannt. Geld für einen realen Wert zu halten, ist eine
mentale Handlung, eine eigene Entscheidung und liegt somit in der Verantwortung
jedes Einzelnen. Geld als Grund für eigene Tätigkeit oder Unterlassung
zu akzeptieren, unterliegt der eigenen Verantwortung. Du weißt aus Erfahrung,
wie die Gesellschaft mehrheitlich dazu steht, denn deshalb nennt man es Kapitalismus.
Es ist Deine Entscheidung dass Du Dich innerhalb dieses Systems aufhältst.
Du siehst bestimmte Vorteile für Dich darin, hier nicht weg zu gehen. Du
erlaubst dem System, Einfluss auf Dich zu nehmen. Du unterwirfst Dich bestimmten
Vorgaben. Du unterstützt dieses System auf verschiedene Art und Weise. Du
spielst das Spiel mit. Vielleicht hältst Du Dich für einen Idealisten
oder Humanisten oder sonst wie für "netter" als der Durchschnitt,
und Deine Tätigkeit ist geeignet das Leid zu mildern, dass dieses System
über Mensch, Tier, Pflanze und Umwelt bring. Vielleicht führt diese
Minderung des Leidensdruckes dazu, dass es noch länger dauert, bis ein allgemeines
Aufbegehren diesem unwürdigen System ein Ende bereitet.
Die Beendigung eines Systems ist aber keine positive Sache, keine Lösung
eines Problems. Nur der Aufbau eines menschenwürdigen Systems ist ein Lösung.
Ohne ein System, ohne Vereinbarungen, ohne Kooperationen und Arbeitsteilung kommen
wir nicht weiter und schon gar nicht gegen ein verdammt gut weltweit etabliertes
System an. Das ist eine ungeheuer große Aufgabe und wird lange Zeit dauern,
und gelebt wird immer JETZT. Also arrangieren wir uns mehr oder weniger mit dem
was ist. Wir wollen ein Einkommen haben, um ein Auskommen zu haben. Also heißt
es: "Ich habe mich entschieden, diese Arbeit zu machen, weil ich dieses Einkommen
haben will." Es ist Deine Entscheidung, Deine Verantwortung. Es geht um die
Erfüllung Deiner Bedürfnisse.
Wenn Du irgendwo in diesem komplexen System von Ursache und Wirkung versuchst,
die Verantwortung für etwas, dass Dir nicht gefällt, auf andere zu schieben,
dann verminderst Du damit Deine eigenen Möglichkeiten zur Verbesserung der
Situation beizutragen. Feindbilder werden aufgebaut, Fronten verhärtet, Widerstände
erzeugt und Empathie entweicht aus dem System wie Alkohol auf einem heißen
Stein. Verwüstung findet statt. Das ist nicht in Deinem Interesse. Wenn Du
aber Deine eigene Verantwortung sogar für die Handlungen anerkennst, die
Du ungerne ausführst, so hat das verschiedene Vorteile:
Deine Aufmerksamkeit wird auf Deine Entscheidungsfähigkeit gelenkt
in der die Saat der Veränderung liegt.
Du kannst von Deiner Entscheidung auf Deine Motivation schließen,
von Deiner Motivation auf Dein Bedürfnis und prüfen, ob das Ergebnis
im Sinne Deines Bedürfnisses ist.
Wenn Dir klar ist, dass es Deine Entscheidung ist, dann weißt Du auch,
dass es nicht für immer ist, denn Du kannst Dich anders entscheiden.
Also kannst Du Dir Termine setzen und sagen:
"Ich entscheide mich, das für eine bestimmte Zeit zu tun."
Du wirst dadurch mehr zum Spielführer und weniger zum Spielball der Umstände.
Deine Aufmerksamkeit wird darauf gelenkt, was Du in der selbst gewählten
Zeit tun wirst, damit Du am Ende der Zeit eine andere Entscheidung treffen
kannst, die zu konkreten erfreulicheren Ergebnissen führt.
Du haderst nicht länger mit dem unerfreulichen Umstand, dass Du den
Folgen der vermeintlichen Schuld anderer hilflos ausgeliefert bist und kannst
die dadurch frei gewordene Kraft produktiv einsetzen, wo auch immer Du möchtest.
Aus der Sicht eines Machers ist alles viel interessanter. Deine Neigung
die Umstände genauer verstehen zu wollen steigt. Also wird Deine Kompetenz
die Angelegenheit in Deinem Sinne zu verändern steigen. Du entdeckst
neue Handlungsspielräume.
Deine Bereitschaft steigt, auf den Teil der Handlungen zu verzichten, den
Du nicht "verantworten" kannst. Wenn Du dann tatsächlich darauf
verzichtest, wächst Deine moralische Stärke entsprechend, was weitere
Energie freisetzt.
Leute die immer nur meckern sind grundsätzlich unbeliebt. Leute, die
Verantwortung zeigen und tun, was in in ihrer Macht steht, verdienen sich
den Respekt anderer und bekommen gelegentlich gänzlich unerwartete Unterstützung,
denn auch andere Leute haben ein Gewissen und einen Sinn dafür, was "richtig"
ist.
Du handelst verantwortungsbewusster und somit qualitativ besser und somit
mit mehr Befriedigung.
Es passieren Dir weniger Fehler und Nachlässigkeiten und andere müssen
weniger unter Dir leiden.
Die ungeliebten Aufgaben und Auflagen verlieren
den Feindbildcharakter und werden zu einem Material, mit dem Du arbeiten kannst,
dass Du also auch selber formen kannst und für die Erfüllung Deiner
eigenen Bedürfnisse umnutzen oder mitnutzen kann. Aus lästigen Abfallprodukten
werden geschätzte Hilfsmittel.*
Derart Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen hat immer
mit Selbsteinfühlung zu tun. Da Du danach mit Dir selber mehr im Reinen
ist, bist Du fortan besser in der Lage Dich in die anderen Beteiligten einzufühlen,
was Arbeitsfrieden, Kooperation und Deine eigenen Einflussmöglichkeiten
weiter verbessert.
*Das ist mitunter wörtlich zu nehmen. Im Krieg hatten die russischen
Bomberpiloten das Problem, dass der Treibstofftank am Zielort halb leer war und
deshalb mit viel Luft gefüllt, was im Falle des zu erwartenden Feindkontaktes
schon beim ersten Treffer zur Explosion des Tanks und zum Verlust von Mannschaft
und Maschine führte. Also entschied man sich, die verbrannten (also unbrennbaren)
Abgase aus den Flugzeugmotoren zum Auffüllen der sich stetig leerenden Tanks
zu verwenden, was die Wahrscheinlichkeit von Explosionen drastisch reduzierte.
Das war keine esoterische Umdeutung, sondern eine konkrete Umnutzung auf der Grundlage
einer geringen baulichen Veränderung mit enormem materiellen Vorteil.