Manorainjan:Dating:Abstraktion



"Viele Menschen sind unglücklich, weil sie nicht abstrahieren können. Der Freier könnte eine gute Heirat machen, wenn er nur über eine Warze im Gesicht oder eine Zahnlücke seiner Geliebten wegsehen könnte." [Immanuel Kant]

Die Fähigkeit zu abstraktem Denken unterscheidet uns von den Tieren. Ein Tier weiß nicht, was Glück ist. Tiere können auch nicht lesen oder schreiben; sie können keine abstrakten Symbole erkennen oder gar erzeugen. Dennoch gibt es Tierarten, bei denen es üblich ist, dass sie lebenslange Partnerschaften haben.

Das Gegenstück zur Abstraktion ist das konkrete, das sichtbare, das materiell fühlbare. Für Sex, Essen und Schlaf, also das, was wir mit den Tieren gemeinsam haben, braucht man keine Abstraktion. Um Liebe zu fühlen, brauchen Mensch und Tier keine Abstraktion. Aber das Online-Dating ist nichts anderes als abstrakt. Alles, was über das Internet vermittelt wird, wird vorher digitalisiert. Das ist in jedem Falle gleichbedeutend mit Abstraktion. Das Internet liefert uns niemals die Dinge an sich, es liefert immer nur Symbole der Dinge, also deren Abstraktionen. Das Profil ist nicht der Mensch. Das Bild des Menschen ist nicht der Mensch. Das Bild, dass wir uns von dem Menschen machen, ist nicht der Mensch. Was auch immer über das Netz geht, muss nach der Digitalisierung mindestens 2 mal 7 Abstraktionsschichten durchlaufen, um am anderen Ende wieder raus zu kommen. Das macht dieses Bild vom ISO-OSI-Modell ganz deutlich, natürlich nur für Leute, die abstrakt denken können ;-)



Weg vom Leben?

Die Abstraktion führt uns grundsätzlich zuerst weg vom Leben, besonders von seinem animalischen Anteil. Von dem Bild einer Banane wird kein Affe satt. Auch Geld kann man bekanntlich nicht essen. Aber, in der sogenannten westlichen Zivilisation werden die Menschen wie Pawlowsche Hunde darauf konditioniert, die Symbole für das Wesentliche zu halten. Da wir gänzlich im Kapitalismus leben, ist das Kapital unser Gott und das Geld ist das Universalsymbol für Glück jeder Art geworden. Alles anderen Symbole müssen sich dem unterordnen, dienen und zuarbeiten, so wie Jugend, Schönheit, Stellung & Einfluss.
Dabei bleibt das System patriarchalisch geprägt, was Du beim Online-Dating daran sehen kannst, dass in vielen kostenpflichtigen Börsen die Preise für Männer höher sind als für Frauen, weil die Frauen die dort angepriesene Ware sind. Für die scheinbar kostenfreien Foren gilt für beide Geschlechter:



"Wenn Sie für einen Dienst nichts bezahlen,
sind Sie offenbar nicht Kundin oder Kunde,
sondern die Ware, die verkauft wird."

Ist die Abstraktion also etwas grundsätzlich lebensfeindliches?
Nein. Die Abstraktion ist ein Werkzeug. Und wie alle Werkzeuge kann man sie sowohl zerstörerisch einsetzen, als auch schöpferisch. Ob ich mir mit dem Hammer auf den Daumen kloppe, oder ob ich den Nagel treffe, an dem ich ein Bild aufhängen will, hängt schließlich von meinem handwerklichen Können und meiner Konzentrationsfähigkeit ab. Genau so ist es mit der Abstraktion, die ein Werkzeug des Geistes ist. Es hängt von meinen Absichten ab und meinen geistigen Fähigkeiten, ob mich die Abstraktion in den Tod führt, oder zum Leben. Abstraktion ist notwendig, um langfristige Planungen machen zu können. Und Planungen können sehr wohl lebensdienlich sein, sind in unseren Breitengraden sogar lebensnotwendig, da wir nicht ganzjährig von dem Leben können, was von selbst auf den Bäumen wächst. Die alte Fabel von der Grille und die Ameise veranschaulicht das sehr gut. Wenn wir davon ausgehen, dass es ein menschenwürdiges Ideal sei, dass Menschen sich zu möglichst (lebens-)langen ehe(-ähnlichen) partnerschaftlichen Beziehungen zusammen finden, wird also offensichtlich, dass dazu langfristige Planung und somit Abstraktion erforderlich ist.

Fluch und Segen der Individualisierung

"Normalerweise" also in der "Moderne", in den Zeiten und an den Orten, in denen es nicht mehr üblich ist, dass die Eltern die Lebenspartner für ihre Kinder aussuchen, ist es üblich, dass wir uns erst zu jemandem hingezogen "fühlen" und dann "denken" (ha, ha) es wäre eine gute Idee, mit dieser Person eine Beziehung einzugehen. Das moderne Leben hat uns zwar scheinbar große individuelle Freiheiten gegeben, so dass wir nicht mehr gezwungen sind, uns dem Willen der Eltern zu unterwerfen und auf die Unterstützung der Familie nicht mehr existenziell angewiesen sind, aber es hat uns bis zum heutigen Tage nicht gelehrt, wie wir diese Freiheiten angemessen nutzen können, wie wir ohne das Wissen der älteren Familienmitglieder auskommen können. Nach vielen Generationen dieses modernen Lebens geht das Wissen der Älteren sogar verloren, weil es nicht mehr tradiert wird, so dass die älteren Menschen schließlich auch nur noch älter werden und keineswegs weiser. Dieses Wissen überdauert nur teilweise in der Abstraktion von Buchweisheiten. Und niemand ist gezwungen solches zu lesen, bevor er handelt. Die Säkularisierung befreit aus den Dogmen und anderen Zwängen der Kirchen, läßt aber auch gleichzeitig jede geistliche Übung und somit die ggf. daraus erwachsenen geistlichen Fähigkeiten aus der Gesellschaft verschwinden. An Stelle von Hingabe und Demut treten Ersatzbefriedigungen und Süchte aller Art. So werden die gewonnenen Freiheiten mehrheitlich verschwendet oder missbraucht, ohne eine Zunahme echten Glücks. Wenn man den derzeitigen Trend hochrechnet, kommt nichts weiter dabei raus, als die Zerstörung unserer Lebensgrundlage weltweit. Das beginnt bei einem Mangel an Selbstachtung, geht über ständig wechselnde zerstörerische Beziehungen und endet in Krieg und Umweltzerstörung. Warum muss ich meine Wohnung abschließen, wenn ich gehe? Wegen der wilden Tiere? Nein, wegen der anderen Menschen; weil ich meinen Brüdern und Schwestern keinen Zentimeter über den Weg trauen kann! Morgens jeder für sich und mittags jeder gegen jeden. Die Entwicklungsphase der menschlichen Gesellschaft, in der wir lernen von unseren individuellen Freiheiten menschenwürdigen Gebrauch zu machen, liegt noch vor uns. Und es liegt in der Natur der Individualisierung, dass einige Individuen dabei weiter sind als andere. In der derzeitigen Phase bedeutet Individualisierung nicht nur die Entfernung der Individuen voneinander, bei gleichzeitig zunehmender räumlicher Enge, sondern auch die Entfernung der Individuen von sich selbst, die Entfremdung.

Passive und aktive Anwendung der Abstraktion

Es ist nicht so, dass Abstraktion nicht gelehrt würde. Aber bedauerlicherweise wird in den meisten Fällen nur gelehrt und konditioniert, die Abstraktion für lebensfeindliche Ziele einzusetzen. Ein allgemeinverständliches Beispiel ist das Sammeln von Briefmarken. Briefmarken sind kleine Papierfetzen, die ursprünglich als Symbol für ein Symbol standen. Sie stehen zuerst für Geld, das seinerseits ein Symbol für materielle Werte ist. Man tauscht also zuerst das allgemein gültige Wertzeichen Geld gegen das nur beim Logistikdienstleister gültige Wertzeichen Briefmarke ein. Dann entwertet man die Briefmarke durch das Aufkleben (abgelöste und wiederverwendete Briefmarken werden von der Post grundsätzlich nicht anerkannt) und tauscht sie gegen das Versprechen der Postbeförderung. Der Logistikdienstleister macht die Entwertung durch das Anbringen eines Stempels auf der Marke für alle sichtbar und unwiderruflich. Nachdem das Postgut seinen Empfänger erreicht hat, ist die Briefmarke nicht einmal mehr das Papier wert, auf der sie gedruckt ist. Dieses vollkommen entwertete Fetzchen Papier wird jetzt von sehr vielen Leuten gesammelt, angefangen von kleinen Kindern. Ein ganzer Industriezweig, einschließlich der damit verbundenen Energieverschwendung und Umweltzerstörung, lebt vom Briefmarkensammeln, einer vollständig nutzlosen Zeitverschwendung die nur auf Illusionen um angebliche Werte von dreckigen, alten daumengroßen Papierfetzen aufbaut. Sammelbildchen aller Art, z.B. Fußballstars, werden dazu benutzt, unsere Kinder darauf zu konditionieren, in Symbolen einen Wert zu sehen, die diese niemals haben werden und sich somit von anderen abhängig zu machen und die Freiheit des Individuums nur zum Schein zu verwirklichen und das Haben mit dem Sein zu verwechseln.

Aktive Anwendung der Abstraktion wird frühestens in den fortgeschrittenen Phasen des Studiums gelehrt, wenn es darum geht zu promovieren. Die Aktive und selbstständige Anwendung von Abstraktion ist bisher Herrschaftswissen gewesen. Man benutzt es, um andere zu beherrschen, um Profite zu maximieren, um auszubeuten und zu missbrauchen, um zu jagen, statt selber gejagt zu werden. Könnte die Mehrheit der Menschen selber aktiv abstrahieren, wäre es unbeherrschbar. Brot und Spiele für das Volk! Ein Beispiel: Es ist eine sozial verträgliche Art selber zu abstrahieren, wenn man seine eigene Währung schafft, wie es die Tauschringe tun.

Online-Dating abstrahiert Dich

Beim Online-Dating bist Du zuerst einmal das Opfer der Abstraktion. Es sind die geschäftstüchtigen Unternehmen, die die Server betreiben, die die Webseiten programmieren und für die Partnerbörsen werben, die aktiv abstrahieren, nicht Du. Sie verwandeln menschliche Sehnsüchte in Profit, sie schlachten Deinen Partnerwunsch gnadenlos und gewissenlos aus. Sie sind keinesfalls Deine Freunde. Ihr Bestreben ist nicht, Dir zu einem Partner zu verhelfen, sondern Dich so lange wie möglich und so teuer wie möglich nach einem Partner suchen zu lassen, natürlich ohne dass Du das merkst. Betrug ist in diesem Geschäft die Regel, Ehrlichkeit die Ausnahme. Du befindest Dich dort auf feindlichem Gebiet. "Gute" Online-Dating-Dienste beherrschen die Kunst, Dich dermaßen höflich zu filetieren, dass Du Dich nachher noch für den sauberen Schnitt bedankst.

Online-Dating nutzen: Erst denken, dann fühlen!

Wenn Du es für Dich nutzen willst, um Dein Leben zu bereichern, dann musst Du vorab deutlich mehr tun, als Dich von den Versprechen anlocken lassen. Du musst im Detail verstehen, wie Online-Dating funktioniert! Dabei helfen Dir die meisten Online-Dating-Ratgeber-Bücher nicht weiter, weil die Autoren diese Bücher auch nur als weiteres Element in der Wertschöpfungskette, also für ihren eigenen Profit geschrieben haben, nicht, um Dein Leben zu bereichern. Die Online-Dating-Szene ist auch dermaßen dynamisch, dass ein auf Papier gedrucktes Buch mit der Entwicklung nicht Schritt halten kann. Heute noch ist Friend-Scout24 Deutschlands bester Bezahldienst dieses Industriezweiges und schon Morgen wird er von der französischen match.com-Gruppe aufgekauft und übermorgen hat er ein dermaßen beschissenes Design, dass es eine Qual ist, dort Mitglied zu bleiben. Auch Vergleichs-Portale wie Singlebörsen-Vergleich sind zwar nutzbar, aber nicht Dein Freund, nicht neutral, nicht vertrauenswürdig und oft stark irreführend, weil sie von den Provisionen leben, die sie von den Diensten bekommen, zu denen sie Dich verlinken.

Das Online-Dating bietet uns aber eine ganz spezielle Möglichkeit sachliche Bezüge zuerst zu berücksichtigen. Ich kann (und muss) mir zuerst mal Gedanken machen, was ich suche. Das fängt mit der Überlegung an, ob ich überhaupt die Möglichkeiten des Online-Dating nutzen möchte. Und wenn ja, welchen Dienst ich nutzen möchte, weil jeder Dienst die Wahrscheinlichkeit bietet, auf eine bestimmte Klientel zu stoßen. Suche ich ein Sex-Abenteuer? Dann sollte ich wohl mal bei fuckbook vorbeischauen. Bin ich an der Gründung einer Patchwork-Familie interessiert? Da bietet sich Moms-dads-kids an. Fühle ich mich im Kreise Anderer mit Standesdünkel wohl und möchte ich mir das Prekariat mittels Geld vom Leib halten? Dann lass Dich von Parship ausnehmen!
Habe ich es geschafft mich irgendwo anzumelden, muss ich entscheiden, ob ich ein Bild zeige, vielleicht sogar eines, das mich zeigt und wie ich mich zeige. Wenn Du noch verheiratet bist und nur was nebenbei suchst, solltest Du den Ball wohl lieber etwas flacher halten. Es könnte viele "Gründe" geben, kein Bild zu zeigen. Wenn (meine) Persönlichkeit keine Rolle spielt, kann ich ja auf einen Profiltext verzichten. Auf jeden Fall muss ich mir überlegen, in welchem Altersbereich ich suche und an welchen Orten. Für solche mit Bindungsangst macht sich eine Fernbeziehung immer ganz gut.
So gibt es also zuerst eine Menge zu sehen, Frauen die ihre beiden besten Argumente ins Bild hängen, Männer die vor ihren Motorfahrzeugen und anderen Statussymbolen posieren usw. Und hier und da gibt es mehr oder weniger interessante Profiltexte zu lesen. Meine Lieblingssätze sind: "Ich lache gerne", "frag mich einfach", "ich stehe mit beiden Beinen im Leben", "suche keinen ons", "carpe diem" und natürlich "Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar, man sieh nur mit dem Herzen gut."
Und dann wird getextet, also kleine Nachrichten ausgetauscht, um sich kennen zu lernen, oder wenigstens auf sich aufmerksam zu machen, um abzuchecken, mit wem zu treffen sich für was auch immer lohnen könnte. Es gibt da keine Möglichkeit den Anderen zu fühlen und "mit dem Herzen" zu sehen. Du kannst nur lesen, was er schreibt. Fühlen geht anders! Du kannst nur Deine eigenen Gedanken fühlen, das was Du assoziierst, wenn Du ließt was einer schreibt. Den anderen fühlst Du erst, wenn Du ihm gegenüber stehst. So lange Du noch via Online-Dating-Dienst kommunizierst, fühlst Du tatsächlich nur Dich selbst. Du erinnerst Dich doch, oder? Das Internet transportiert nur elektrische Impulse, keine Gefühle!
Wenn Du also klug bist, nutzt Du diese moderne Möglichkeit, um jemanden zu suchen, der objektiv zu Dir passt. Und dann lernst Du die Person bei einem Date kennen, um heraus zu finden, was Du für die Person fühlst. Alle Gefühle, die Du vor dem ersten Treffen entwickelst, werden Dir nur das Gemüt vernebeln. Das ist ideal für Leute, die lediglich wieder (und wieder und wieder und wieder ...) verliebt sein wollen.

Wenn Du aber tatsächlich einen potenziellen Partner suchst, dann bietet Dir das Online-Dating die Möglichkeit, Kontakte zu anderen Menschen zu knüpfen, die (wenn das stimmt, was in deren Profilen steht) Single sind, das von Dir bevorzugte Geschlecht haben, in einem für Dich geeigneten Alter und an einem für Dich erreichbaren Ort sind. Es besteht sogar Anlass zur Hoffnung, dass diese Leute tatsächlich daran interessiert sind, einen Partner zu finden, auch wenn ein näheres Kennenlernen oft das Gegenteil beweist. Das kann durchaus effizienter sein, als in der Fußgängerzone die nächstbeste Person anzusprechen.